Die sicherste Methode, radikale Innovation zu killen

Gastbeitrag von Jean-Philippe Hagmann: Jeder strebt nach Effizienz – klar! Doch wer effizient sein möchte, greift zu Bewährtem und lässt somit den glücklichen Zufällen und kreativen Findungsreisen keine Chance. Möchten Unternehmen und Teams radikal innovativ sein, so dürfen sie nicht zu stark nach Effizienz streben – ein exklusiver Auszug aus Jean-Philippe Hagmanns bahnbrechendem neuen Buch.

Sowohl als Unternehmen als auch als Einzel­person ist Effizienz eine der meist­gefragten Fähig­keiten. Sobald ein Unternehmen zu wachsen beginnt, wird die Organisa­tion so strukturiert, dass alle Arbeiten möglichst wirt­schaft­lich ausge­führt werden können. Dabei geht es darum, mit möglichst geringem Aufwand und wenigen Ressourcen einen möglichst grossen Nutzen zu gewinnen.

Hätte Van Gogh Freude am „Malen nach Zahlen“ gehabt?

Meine Mutter hat zu Weih­nachten ein „Malen nach Zahlen“ geschenkt bekommen. Sie ist mit dem Pinsel sehr bewandert und hat sich sehr darüber gefreut. Mittler­weile ist Van Goghs „Café­terrasse am Abend“ fertig gemalt und sieht wunder­schön aus.

Beim „Malen nach Zahlen“ besteht das Bild anfäng­lich aus vielen farb­losen Flächen. Die Aufgabe besteht darin, diese Flächen auszu­malen. Welche Farbe ver­wendet werden soll, wird durch eine Zahl inner­halb dieser Flächen angegeben.

Nun stellen wir uns einmal vor, Vincent Van Gogh hätte im September 1888 nicht vor einer leeren, sondern vor einer mit farb­losen Flächen bedeckten Lein­wand gestanden, auf der er bereits die Anleitung zu seinem Bild fand. Eigentlich hätte er sich doch freuen müssen, oder nicht? Er hätte sogleich loslegen und sein Meister­werk in wesent­lich kürzerer Zeit, also hoch effizient, fertig­stellen können.

Ich glaube, wir sind uns hier einig, liebe Leser, dass sich Van Gogh nicht sonder­lich inspiriert gefühlt hätte, all diese Felder auszumalen. Warum nicht?

Eine kreative Reise mit Reizen und Fehlern

Lassen wir einmal ausser Acht, dass das Original doch einiges komplexer und detail­reicher ist als die Kopie. Selbst wenn wir annehmen, dass das Original­bild und die „Malen nach Zahlen“-Kopie am Ende auf jeden Pinsel­strich genau gleich aus­sehen würden, wäre für Van Gogh die effiziente Umsetzung nach Zahlen kaum befriedigend gewesen. Denn es ging ihm um die Umsetzung an und für sich. Um die Ausein­ander­setzung mit dem Material, dem Motiv, der leeren Lein­wand, die kaum Vorgaben macht. Es geht dem Künstler darum, auf seiner kreativen Reise auf unterschied­lichste Reize reagieren zu können, den Zufall und den Fehler als Gehilfen zuzu­lassen und das schluss­end­liche Ziel erst nach und nach zu finden.

In diesem kreativen Prozess spielt Effizienz gar keine Rolle. Dies bedeutet Folgendes: Hätte Vincent Van Gogh einen Manager gehabt, dessen Job es war, seine Gemälde so gewinn­bringend wie möglich zu verkaufen, so hätte er mit strikten Vorgaben und Ressourcen­kürzungen wenig Erfolg gehabt. Er wäre stattdessen gut beraten gewesen, Van Gogh grosse Frei­räume zu lassen.

Innovation und Tagesgeschäft – ein Jonglieren mit zwei Welten

Wir haben er hier somit mit zwei völlig unter­schied­lichen Aufgaben­typen zu tun. Die eine Aufgabe – das klassischen Manage­ment im Tages­geschäft – besteht darin, ein vorher bestimmtes und genau definiertes Ziel zu erreichen. Und hier macht es im wirtschaft­lichen Kontext durch­aus Sinn, diese Arbeit auf Effizienz hin zu optimieren.

Ganz anders sieht es hingegen beim zweiten Aufgabentyp aus – der radikalen Innova­tion. Hier ist das End­resultat nämlich noch unbe­kannt und die Aufgabe besteht darin, dieses Ziel zu finden. Diese Aufgabe kann nicht nach Rezept erledigt werden, denn hier spielen der Zufall, die Intuition und Fehler entscheidende Rollen.

Und bei einer Aufgabe, die nicht nach Rezept erledigt werden kann, nützt das Optimieren hin zu mehr Effizienz gar nichts. Möchte ein Unternehmen also radikal innovativ sein, so muss es mit diesen beiden unterschied­lichen Welten umgehen können – mehr darüber im neuen Buch „Hört auf, Innovations­theater zu spielen!“.

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